Ermittlung potenzieller Stellhebel des Imageverlustes und Evaluation arbeitgeberspezifischen Lösungsansätzen
Autoren: Juliane Fois, Simon Huser
Welche Bedeutung das Pflegepersonal für unsere gesundheitliche Versorgung aber auch für die Stabilität und Funktionalität des Gesundheitswesens hat, wird zu Zeiten der Covid-19 Krise einmal mehr verdeutlicht. Umso besorgniserregender scheint vor diesem Hintergrund die Tatsache, dass der Fachkräftemangel im Bereich der Pflege, wenn er bisher auch noch nicht flächendeckend akut ist, zumindest zum Greifen nah scheint. Qualitativ hochwertige und für jedermann zugängliche Pflege kann nur gewährleistet werden, wenn genügend Pflegepersonal vorhanden ist und zudem eine flächendeckende Identifikation mit dem Beruf besteht.
Der demografische Wandel und die damit einhergehende gesteigerte Anzahl an Akut- und Langzeitpflegebedürftigen sowie Reha-Einweisungen stellt unsere zukünftige Gesundheitsversorgung jedoch vor eine grosse Herausforderung. Laut Hochrechnungen wird im Jahr 2030 der Anteil der über 65-jährigen bei 24.2% liegen und bis im Jahr 2060 sogar auf 28.3% ansteigen.[1] Sowohl die Gesundheitseinrichtungen als auch die Politik müssen sich mit grundlegenden Strukturveränderungen auseinandersetzen und adäquate Lösungsmodelle entwickeln. Die Alterung der Gesellschaft verursacht nicht nur kontinuierlich ansteigende Gesundheitskosten, auch die Lücke zwischen Leistungsnachfrage und Leistungsanbieter wird grösser. Die gesteigerten Ansprüche an die Kompetenzen der Arbeitskräfte sowie eine veränderte Erwartungshaltung der jungen Generation an ihren Beruf, erschweren das Recruiting qualifizierter Arbeitskräfte zusätzlich – ein Kreislauf, aus dem nur mit gezielten Strategien ausgebrochen werden kann. Ebenfalls alarmierend sind die Ergebnisse der RN4CAST Studie aus dem Jahr 2011: 28% der Befragten geben an, ihre Stelle innerhalb eines Jahres kündigen zu möchten.[2] Dies verdeutlicht zum einen, dass der Pflegeberuf in der Schweiz zu den weniger attraktiven gehört und, dass es in den kommenden Jahren noch schwieriger werden wird, den Bedarf an Pflegefachkräften zu decken. Um das Recruiting, den Wiedereinstieg sowie das Halten des Pflegepersonals im Beruf zu verbessern, muss im ersten Schritt das Interesse für den Beruf wieder angehoben werden. Dazu ist es notwendig, potenzielle Stellhebel des Imageverlusts, unter anderem durch Befragungen im Berufsfeld, zu ermitteln:[3, 4]
(1) Erhöhte Belastung: Wenngleich die Anzahl der Gesundheitsfachkräfte in den letzten Jahren leicht angestiegen ist, ist ebenfalls ein Anstieg der Fallzahlen sowie eine Verringerung der Verweildauer bei stationären Aufenthalten zu verzeichnen. Daraus kann sich in einigen Fällen eine Verdichtung der Arbeitsleistung im Zusammenspiel mit steigender Komplexität der Behandlungen ergeben.
(2) Berufliche Herausforderungen: Die Covid-19 Pandemie zeigt zurzeit eindrücklich auf, welchen beruflichen Herausforderungen das Pflegepersonal gegenübersteht. Dazu werden nebst der knappen Besetzung, der geforderten Flexibilität und dem emotionalen sowie körperlichen Stress auch der Schichtdienst sowie ein hohes Mass an Verantwortung aufgezählt.
(3) Anspruchsvolle Work-Life-Balance: Die Herausforderung, den Beruf und das Privatleben zu vereinen, stellt für viele Pflegekräfte ein fundamentales Problem dar. Gerade Frauen machen die Erfahrung, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Vergleich zu anderen Berufen schwieriger ist. Die wechselnden Schichtpläne und die Überstunden erschweren die Vereinbarkeit von Privat- und Berufsleben.
(4) Ausbildungsbezogene Hierarchien: Trotz teils fortschrittlichen Modellen wird die interdisziplinäre Kommunikation zwischen Ärzteschaft und Pflegepersonal, aber auch innerhalb des Pflegepersonals, oftmals als hierarchisch geprägt empfunden. Gerade weniger gut ausgebildetes Personal hat teils Angst, mit Einführung neuer Hierarchien „nicht mehr mithalten zu können“ und „an unterster Stelle zu stehen“.[5] Dies führt unter anderem dazu, dass notwendige Veränderungen nur sehr vorsichtig angegangen werden können und veraltete Denkmuster nicht selten weitergebildeten Pflegekräften die Möglichkeit verwehrt, Verantwortung zu übernehmen und Entscheidungen durch- bzw. umzusetzen.
Um sich dem drohenden Fachkräftemangel entgegen zu stellen, sollte es das Ziel sein, nicht nur neue Mitarbeiter zu gewinnen, sondern auch die vorhandenen Mitarbeiter langfristig zu halten. Wenngleich auch einige Gegebenheiten dem Marktgeschehen geschuldet und nur schwierig beeinflusst werden können, gibt es doch einige Punkte, an denen die Arbeitgeber ansetzen können.
Flexible Arbeitszeitmodelle steigern die Attraktivität
Die Einführung flexibler Arbeitszeitmodelle birgt hierbei das Potenzial, den Pflegeberuf wieder attraktiver zu machen. Mehr Teilzeitstellen, Job-Sharing - Angebote und fixe Pausen- und Urlaubstage erleichtern es den Mitarbeitern ihre Work-Life-Balance zu verbessern und somit zufriedener mit ihrem Beruf zu sein. Zudem kann eine Anpassung der bisher sehr starren Modelle dazu führen, dass wieder mehr Berufseinsteiger sich für den Pflegeberuf interessieren.
Starre Hierarchien überwinden
Aufgrund der zuvor bereits angesprochenen Kompetenzerweiterung der Pflege, stellen diese für die Ärzteschaft aber auch für den Pflegealltag an solches schon heute in einigen Bereichen eine grosse Arbeitserleichterung dar. Dennoch scheinen veraltete Denkmuster und neu entstehende Hierarchien nicht immer auf Anklang zu stossen. Arbeitgeber sollten hier ansetzen und gezielt die Zusammenarbeit, einerseits von Pflege und Ärzteschaft, anderseits aber auch innerhalb der Pflege fördern. Dies mit dem Ziel, ein positives Arbeitsklima zu schaffen und die Mitarbeiter zu motivieren. Teambuildingmassnahmen, geplante Gespräche zwischen den Disziplinen sowie die Förderung einer offenen Kommunikation, können hier ebenfalls als passende Herangehensweise gesehen werden. Zudem sollte es das Ziel sein, den Wert des Pflegeberufes mit den richtigen Aufgaben und Verantwortungen sowie den dazugehörigen Entscheidungsbefugnissen zu definieren. Dazu gehört auch, dass benachbarte Berufsgruppen den neuen Kompetenzrahmen der Pflege kennenlernen und akzeptieren.[5]
Neue Berufsbilder in der Pflege
Das Schaffen neuer Berufsfelder in der Pflege (vom Case Manager bis hin zum Dekubitus Spezialisten) sollte vermehrt in den Vordergrund gebracht werden. Dies sollte jedoch nicht mit einer Akademisierung des Pflegeberufes gleichgesetzt werden. Vielmehr gilt es, auf die Bedürfnisse der Auszubildenden, wie auch auf den ermittelten Bedarf an Fachkräften des Landes, zum Beispiel mit digitalen prediction models, gleichermassen einzugehen.
Welche Massnahmen für das jeweilige Spital nun angebracht sind, muss im Vorhinein anhand der individuellen internen Gegebenheiten analysiert werden. Um letztlich den bestmöglichen Nutzen für das Spital zu erzielen und zu evaluieren, ist ein kontinuierlich durchgeführtes Monitoring sowie eine saubere dokumentiere Entwicklung unumgänglich. Dies ermöglicht nach gegebener Zeit und anhand der erhobenen Kennzahlen zu ermitteln, ob die Massnahmen die Personalsituation verbessert und das Recruiting effizienter gestaltet haben. Des Weiteren sollte sich ein Unternehmen gezielt auf seine „unique selling points“ fokussieren. Was ein Spital, ein Pflegeheim oder ein Spitexbetrieb gegenüber Fachkräften attraktiv macht, kann ganz unterschiedliche Formen annehmen und lässt sich am besten in Form eines Arbeitgeber Schachbretts visualisieren (vgl. Abb.1). Mithilfe dieses Schachbretts sollten sich klare Rekrutierungsziele und Kommunikationstaktiken ableiten lassen, die letztendlich für den Erwerb qualifizierter Fachkräfte einsetzbar sind.
Abb.1: Arbeitgeber Schachbrett, ein methodischer Ansatz für die Personalgewinnung im Gesundheitswesen [6]
Quellen:
[1] Pflegebedürftigkeit und Langzeitpflege im Alter, Obsan, 2011
[2] Das Pflegefachpersonal in Schweizer Spitälern im europäischen Vergleich, Obsan, 2014
[3] Studie zu den Laufbahnen im Pflegeberuf in der Schweiz, Obsan, 2016
[4] Arbeitszufriedenheit in der Pflege, Projektgruppe Bildungszentrum Gesundheit BS, 2012
[5] Hierarchien in der Pflege, wohin mit den akademisierten Pflegekräften?, ZEQ, 2015
[6] Arbeitgeber Schachbrett, Muller et al., 2018
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