Eine Krise wie die Corona-Pandemie ist eine Situation, in der die Orientierung verloren gehen kann. Sie verlangt nach neuen Massstäben für Perspektive und Handeln – und hinterfragt die Unternehmensstrategie. Eine Umfrage bei Alters- und Pflegeinstitutionen.
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Autor: Benno Meyerhans
COVID-19 stellt Alters- und Pflegeinstitutionen seit knapp zwei Jahren vor grosse Herausforderungen. Die Situation entspannt sich und die Institutionen erhalten für ihre Leistungen während der Pandemie eine hohe Wertschätzung durch Angehörige und Bewohner. Gemäss einer Studie im Auftrag des Bundesamts für Gesundheit1 als auch Mitgliederumfragen von CURAVIVA2 hinterlässt die Krise deutliche Spuren: Bei allen involvierten Personen als auch den Finanzen. Durch die neuen Begebenheiten stellt sich die Frage, wie die entsprechenden Institutionen die neue Realität meistern und ob sie für die Zukunft gewappnet sind?
Dies hat Muller Healthcare Consulting dazu bewogen, eine Umfrage zu den Langzeitfolgen der Pandemie auf die stationäre Langzeitpflege durchzuführen. Die Umfrage stützt sich auf verschiedene Untersuchungsmethoden: Im Zentrum stand eine Online-Befragung, welche durch qualitative Interviews sowie Dokumenten- und Datenanalysen ergänzt wurde. Das Ziel der Umfrage war, die Langzeitfolgen der Pandemie basierend auf den Schwerpunkten Fachkräftemangel, Marktumfeld und Digitalisierung zu analysieren und Handlungsfelder für die Zukunft zu identifizieren.
Die Umfrage-Ergebnisse ermöglichen einen differenzierten Einblick auf die Auswirkungen der Corona-Pandemie und mögliche Langzeitfolgen für Institutionen der stationären Langzeitpflege. Diese werden im Folgenden erläutert.
Herausforderungen in der Pflege
Die Corona-Pandemie führte zu Personalengpässen und damit wurde einmal mehr das Thema Fachkräftemangel in der Pflege akut: Wie die Umfrage zeigt, ist der Fachkräftemangel bei rund drei Viertel der Institutionen die Haupt-Herausforderung. Bei knapp der Hälfte ist die Personal-Fluktuation mit der Krise gestiegen und die Pflege-Qualität sank bei einem Viertel der teilnehmenden Institutionen. Die Institutionen scheinen aber gut auf die Herausforderungen vorbereitet gewesen zu sein, verfügen doch knapp drei Viertel der Befragten über eine klar definierte Strategie zur Verbesserung ihrer Arbeitgeberattraktivität. Trotzdem stellt sich die kritische Frage, wie resilient und nachhaltig diese Strategien sind und ob diese zur Bewältigung zukünftiger Herausforderungen reichen?
Dynamisch verändertes Marktumfeld
Das Virus hatte nicht nur Personalengpässe, sondern auch tiefere Bettenbelegungen und weniger Neuplatzierungen zur Folge. Dies wirkte sich auch finanziell auf die Institutionen aus.2 Als Gründe für weniger Heimeintritte beobachten ein Viertel der Befragten eine Marktverschiebung Richtung Spitex und ein Fünftel sehen das schlechte Image der Branche inklusive Angst vor der aktuellen Pandemie-Situation als Grund für weniger Neuplatzierungen (siehe Abbildung 1).
Abbildung 1 | Hauptgründe für weniger Heimeintritte in der Corona-Pandemie. Angaben der Beteiligten in Prozent.
Andere Gründe:
- Potenzielle Bewohner verzögern Eintritt
- Finanzielle Belastung
- Bettenüberangebot in der Region
Aufgrund des demographischen Wandels wird die Nachfrage über die nächsten 10 Jahre als positiv eingeschätzt. Gleichzeitig ist ein Grossteil der Befragten überzeugt, dass ihre Unternehmensstrategie auch nach der Krise noch die Richtige sei. Daher verzichten über die Hälfte der Befragten auf deren Überprüfung sowie auf eine Berechnung ihrer künftigen Bettenbelegung als Folge der Pandemie.
In Zukunft muss infolge eines sich dynamisch veränderten Marktumfelds (Marktverschiebung Richtung Spitex, längere Bettenleerstände, Konkurrenz durch neue Wohnformen und neue Marktteilnehmer) mit einer tieferen Infrastrukturauslastung gerechnet werden. Die Institutionen kennen diesen Trend an, reagieren aber überraschenderweise nur selten darauf.
Dies führt zur Frage, wieso trotz der erkannten Marktveränderungen die Unternehmensstrategien nicht häufiger hinterfragt werden. Reicht es, sich auf die demographische Entwicklung zu verlassen?
Die Digitalisierung als Differenzierungsmerkmal
Der Digitalisierungsgrad hängt neben der Grösse von Alters- und Pflegeheimen auch von Personenmerkmalen (hohe Technikaffinität) der Leitungsebene ab.3 COVID-19 war für die Mehrheit der antwortenden Einrichtungen ein Verstärker der Digitalisierung. Zwei Drittel der Befragten betrachten die Digitalisierung als Differenzierungsmerkmal gegenüber anderen Marktteilnehmern. Gleichzeitig plant ein Grossteil der Umfrage-Teilnehmer in naher Zukunft einen Ausbau von digitalen Massnahmen. Bei den antwortenden Institutionen zeigen sich Widersprüche in Bezug auf geplante Massnahmen in Relation zu den verfügbaren Ressourcen: Oft fehlt es an der Kombination einer Digitalisierungsstrategie und den notwendigen Ressourcen zur Umsetzung.
Fazit
In einer Krise wie der Corona-Pandemie kann die Orientierung verloren gehen. Sie verlangt nach neuen Massstäben für Perspektive und Handeln – und hinterfragt die Unternehmensstrategie. Mögliche Langzeitfolgen der Pandemie auf die stationäre Langzeitpflege wie eine tiefere Infrastrukturauslastung, ein sich dynamisch veränderndes Marktumfeld und der akzentuierte Fachkräftemangel verlangen eine regelmässige Überprüfung der Gültigkeit des eigenen Handelns. In Ausnahmesituationen fehlt dafür aber oft die Zeit. Der Status quo der stationären Langzeitpflege wird zwar nicht hinterfragt, aber neue Perspektiven werden sichtbar. Die integrierte Gesundheitsversorgung aus einer Hand, wo durch überbetriebliche Zusammenarbeit dem Fachkräftemangel entgegengewirkt werden kann, ist eines der Anzeichen dafür.
Die komplette Umfrage mit den detaillierten Ergebnissen kann bei Muller Healthcare Consulting bezogen werden.
Quellen
BAG Studie «Corona-Krise: Analyse der Situation von älteren Menschen und von Menschen in Institutionen», INFRAS, Juli 2021
CURAVIVA, Finanzielle Folgen der COVID-19-Krise in Alters- und Pflegeinstitutionen – Kurzbericht zu Mitgliederumfragen, Mai 2021
A. Seifert, T. Ackermann: Digitalisierung und Technikeinsatz in Institutionen für Menschen im Alter. Universität Zürich, Januar 2020
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